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Talkshows.
Was wären wir nur ohne sie, ohne ihre aufgegriffenen tagesaktuellen, manchmal
mehr, manchmal weniger interessanten und wirklich wichtigen Themen des Lebens? Und
vor allem: Was wäre unser Alltag ohne die Talkmaster und ihre teilweise sehr
sedilen Gäste, die nur in den seltensten Fällen überhaupt etwas weltbewegendes
zu berichten haben? Ja, ja, die Talkshow - Mutter und Flagschiff der
vormittäglichen, früh- und spätabendlichen Sendeplätze. Beachtenswert: Jeder
kennt sie, jeder schaut sie (wer behauptet, sich von ihr zu distanzieren, ist
sich seiner eiskalten Lüge hoffentlich bewusst!) und jeder bildet sich ein
Urteil über sie. Was in den 80 Jahren des vergangenen Jahrhunderts[1]
aus Amerika auch in unsere medialen Gefilde vordrang, entwickelte sich binnen
kürzester Zeit dank Meiser, Int Veen, Kiesbauer, Fliege und co. zu einem der
meist geliebtesten, aber auch meist verhasstesten Fernsehformate, die das
Fernsehen seither zu bieten hat. Von Assi-Talk und Unterschichtenfernsehen war
im Fall der Talkshow oft die Rede, ebenso von unwürdiger
Menschen-zur-Schau-Stellung. Traurig, aber wahr.
Trotzdem:
Aus der Fernsehlandschaft sind Talkshows selbst heute kaum noch wegzudenken. Ob
öffentlich-rechtlich oder privat: die Sender wissen, dass es ohne sie doch gar
nicht mehr geht, will man sich sein mehr oder minder intellektuelles,
politinteressiertes, anspruchsvolles Publikum in Zeiten der Machtübernahme des
mittlerweile gar nicht mehr so neuen Alles-Könner-Mediums Internet bewahren.
Die
Talkshow, wie sie die meisten von uns damals zu lieben gelernt haben, präsentiert
sich heute nur noch unter der Leitung der mit akademischen Background
ausgestatteten Godmother of Talkshow Britt Hagedorn alias Britt am Mittag (oder
doch andersrum?) at ist best und empfängt bzw. beherbergt Gäste, die entweder
ein schlechtes Gewissen oder Gebiss plagt, denen aus einem staatlich-geprüften
Genlabor verheißungsvolle Post ins Haus flatterte, oder Gäste, die einfach mal ihre
neue tolle pink/schwarze, asymmetrische Strähnchenfrisur im Fernsehen vorführen
wollten.
Die
neue Talkshow von heute, die von Größen à la Jauch oder Lanz präsentiert wird,
ist anders, anspruchs-, man könnte es auch nennen, niveauvoller und richtet
sich merklich an ein anderes Publikum: Angesprochen werden nicht mehr wie einst
Arbeitssuchende, die sich um die Mittagszeit rum einfach mal eine Auszeit vom
stressigen Alltag gönnen wollten, sondern ab sofort anspruchsvolle, an dem
gesellschaftlichen, politischen Leben und deren in der Öffentlichkeit stehenden
Größen interessierte Bundesbürger. Auch wenn es bitter klingen mag: Die
Talkshow von heute hat sich das Ziel gesetzt, dumme, unwissende Menschen, die
ihr und ihrem Anspruch nicht würdig sind, innerhalb weniger Minuten zum
Einschlafen oder Umschalten zu motivieren.
Genau
so, oder vielleicht doch anders (man muss es im Laufe der nächsten Wochen noch
herausfinden) versteht sich auch die Neuerscheinung in der Talkshow-Landschaft,
die allwöchentlich am Sonntagabend (wohlgemerkt konkurrierend mit Günther
Jauch) auf dem Sendeplatz des nun schon fast einjährigen Senders ZDFkultur zu
sehen ist: Roche & Böhmermann.
Jede Woche werden von den Gast- und
Namensgebern der Sendung, Charlotte Roche und Jan Böhmermann, fünf sich auf der
Bekanntheitsskala zwischen 0 und 10 einreihende Persönlichkeiten eingeladen,
die dann in intimer, kuscheliger, Neonröhrenlicht-Atmosphäre bei der ein oder
anderen Zigarette und dem ein oder anderen Glas hochprozentigen Alkohols am runden
Tisch Platz nehmen und über sich, die Welt oder brandaktuellen Themen in Form
von Mono- und Dialogen sprechen.
Nun
fragen Sie, liebe Leser_innen, sich wahrscheinlich: Und was ist jetzt das Neue
und Bahnbrechende an dieser Talkshow, die von außen betrachtet daherkommt, wie
alle anderen vor ihr? Genau das haben wir uns auch gefragt und haben uns für
Sie, aber auch uns selbst, auf die Suche nach Antworten begeben.
Selbstverständlich
haben wir in dieser Sache keine Kosten und Mühen gescheut, und sind am vergangenen
Montag zu einer Aufzeichnung von
Roche & Böhmermann ins nahe Köln gereist. Bereits auf der Reise mit den
öffentlichen Verkehrsmitteln dorthin fragten wir uns, was das
öffentlich-rechtliche Fernsehen, welches sich gegenwärtig zweifelsohne im
Strukturwandel befindet, fernab jeglicher Zivilisation am südlichen Rande der
Rheinmetropole in einer alten Wachsfabrik produzieren lässt. Unsere
Antwort: Eine hochkarätige Sendung!
Das Studio von Roche & Böhmermann (Foto: PENIBELichkeit) |
An
diesem Tag eingeladen waren zum einen Klaas Heufer-Umlauf, wenn nicht gerade an
der Seite von Joko Winterscheidt moderierend im Auftrag „Fernsehen für junge
Menschen“, dann auf Tour als selbsternannten Fuckbuddy mit Gastgeber
Böhmermann; Kaufhauserpresser Arno Funke Dagobert, der sich mit Rap-Musik die
Brötchen verdienende Künstler Dendemann, Journalist und Autor Henryk M. Broder
und die offensichtlich hörbar aus Berlin stammende Schauspielerin Anna Fischer.
Der
bereits angesprochene erlaubte Tabak- und Alkoholkonsum tat in Sachen
Redseligkeit sein Bestes und so wurde in mehr als einer Stunde (vermutlich zum
ersten Mal in der Geschichte des deutschen Fernsehens!!!) das Potenzmittel
Viagra von einem der Anwesenden genommen und über so ziemlich alles gesprochen,
über das gesprochen werden musste und wollte: Organspende, den Holocaust, wie
man so größenwahnsinnig sein kann, statt eines kleinen Tante Emma-Ladens gleich
einen großen Kaufhauskonzern zu überfallen, etc. pp and so on.
Wie
man es sich als fleißiger und regelmäßiger Zuschauer von Roche & Böhmermann
schon denken kann, kam natürlich
auch der Zensierknopf in der Mitte des Tisches zum Einsatz, der sich bereits
schon sehr großer Beliebtheit erfreuen durfte. Die Ausmaße der Zensur kommen
aber nur am heimischen Bildschirm zum Tragen. Im Studio selbst nicht. Es lohnt
sich also, liebe Leser_innen, vor Ort bei der Aufzeichnung dabei zu sein,
sollte es Ihnen unter den Nägeln brennen zu erfahren, welch in Wort gepackte
Unzumutbarkeiten man den Ohren der Fernsehzuschauer ersparen möchte.
Um
zum Schluss noch einmal auf die Frage zurück zu kommen, was das Neue an der
Talkshow Roche & Böhmermann ist: Den Zuschauer erwarten Moderatoren und
Gäste, die kein Blatt vor den Mund nehmen und dank fehlender Struktur und
inhaltlicher Vorgaben alles, was ihnen gerade in den Sinn kommt in die Welt
hinaus posaunen (Warnhinweis: für prüde Zuschauer ist die Sendung eher weniger
geeignet). Das Gute an dieser neuen Gesprächssendung? Auch wenn sie mit ihrer
Aufmachung eher an das Fernsehen erster Stunde erinnert, haben es die mal mehr,
mal weniger jungen, frischen, hippen Themen und Gäste faustdick hinter den
Ohren. Roche & Böhmermann: definitiv für jeden zwischen 18 und 99.
Unser
Prädikat nach Qualitätscheck vor Ort: Absolut sehenswert! Denn mit Roche &
Böhmermann kommt das öffentlich-rechtliche Fernsehen seinem Ziel auch jungen Menschen interessantes Programm zu bieten, ein großes Stück näher.
Neugierig
geworden? Dann verpassen Sie, liebe Leser_innen, heute Abend nicht die vierte
Ausgabe von Roche & Böhmermann!
Wann
und Wo: Heute, 25.03.12, 22Uhr auf ZDFkultur (das reimt sich sogar. Wahnsinn!)
Luise
[1] Genau, liebe jugendliche Leser! Die 1980er, das waren die Jahre des
Jahrzehnts, in dem das Gerät auf welchem ihr dieses coole Internetangebot hier
gerade nutzt, noch Heimcomputer hieß, fast alle Menschen so komische Frisuren
trugen, wie Thommy Gottschalk es noch heute tut und Menschen eures Alters am
Sonntagabend noch gemeinsam mit den Eltern vor dem (wohlgemerkt einen!)
Röhrenfernseher des Hauses saßen, weil es von LKWs fallende Flatscreens,
internetfähige Spielekonsolen und superschnelle, multifunktionale Smartphones
leider, leider noch nicht gab.
dieser Bericht ist ja der Hammer, und kein Kommentar? Danke Luise! manchmal wünscht man sich - von den beiden Moderatoren - mehr Einfühlsamkeit bei sensiblen Themen oder klarere Fronten (durch weniger Ironie und mehr Authentizität) bei moralischen Diskussionen. roche sollte ihre das Gespräch in immer interessante Punkte führende Fragen ausnahmslos weiter stellen. es hätte vielleicht auch etwas wenn dem Zuschauer die Motivation für die Auswahl der Gäste erklärt werden würde, auch wenn willkürlich entschieden wird. der Piepknopf sollte seine Daseinsberechtigung ausbauen, auf die Sprünge könnten ihm die beiden Moderatoren mit ihrem auf die Gäste wirkenden Vorbildeffekt helfen. es ist m.e. nichts daran auszusetzen, dass sich Menschen nichts zu sagen haben oder nur Missverständnis / Ärger dabei herauskommt wenn sie miteinanderreden, das ist die Freiheit der Kommunikation und des Lebens, aber es sollte doch für R&B hinzukriegen sein ein Gespür fürs Interessante zu entwickeln, einen Überblick zu bekommen von dem was der Zuschauer hören möchte, ohne dabei diese so kennzeichnende fast naive Vertiefung in das chaotische Gespräch aufgeben zu müssen. verstehen Sie was ich meine, oder bin ich der einzige, der das so fühlt? vielleicht ist was mit mir nicht in Ordnung. ich weiß nur, dass es für mich in Ordnung wäre wenn sie hinbekämen mir alle genannten Wünsche zu erfüllen. und selbst dann würde es mich noch leicht nerven, dass der Böhmermann so hysterisch ist, aber das würde ich für eine so bereichenrde Sendung ganz locker in Kauf nehmen
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